Gender Data Gap Gross V 2 Künstliche Intelligenz – Buchkritik

Gender Data Gap

Künstliche Intelligenz diskriminiert die Frauen. Was das bedeutet, zeigt das Buch "Unsichtbare Frauen" von Caroline Criado-Perez.

Vor fünf Jahren hat Caroline Criado-Perez, eine Autorin und Rundfunkjournalistin aus London, als damals 35-jährige die Welt aufrütteln wollen. Ihr Werk mit dem deutschen Titel «Unsichtbare Frauen. Wie eine von Daten beherrschte Welt die Hälfte der Bevölkerung ignoriert» geht der These auf den Grund, dass Daten über Männer nach wie vor den Grossteil unseres Wissens ausmachen, was für Frauen unerwünschte, diskriminierende, schmerzhafte, ja sogar tödliche Folgen habe. Sie zeigt dies in ihrer umfangreichen Arbeit anhand zahlreicher Beispiele aus Politik, Technologie, Arbeitswelt, Stadt- und Verkehrsplanung, Kultur, Medien und medizinischer Forschung.

Schockierend sind die Beispiele aus der Medizin. Caroline Criado-Perez postuliert, dass das Fehlen geschlechterdifferenzierter Daten die Fähigkeit, Frauen sinnvollen medizinischen Rat zu erteilen, beeinträchtige. Weshalb sterben mehr Frauen als Männer an einem Herzinfarkt? Weshalb ist die spezifische Wirkung einer riesigen Zahl von Medikamenten auf Frauen schlicht unbekannt? Und wie kommt es, dass wir erst seit ein paar wenigen Jahren das Wort Endometriose einordnen können, obwohl unzählige Frauen seit je während der Menstruation deswegen an oft unglaublichen Schmerzen leiden?

Die Autorin war eine der Stimmen, die dazu beigetragen haben, dass diese gravierenden Missstände benannt und bekannt werden. Und wie erfreuliche Beispiele aus diesem Jahr zeigen, kam Bewegung in die Medizin:

"Endlich wird etwas gegen den Gender Gap unternommen, bereits gibt es einige ermutigende Initiativen."

Irène Meier


Beispiel 1:

Seit dem 1. Mai 2024 hat Professorin Carolin Lerchenmüller den geschaffenen Lehrstuhl Gendermedizin an der Universität Zürich inne Gendermedizin | Medizinische Fakultät | UZH.

Beispiel 2:

The Women’s Brain Foundation – eine internationale Non-Profit-Organisation im Sitz in der Schweiz, die Forschung unterstützt und betreibt, um die Präzisionsmedizin zum Nutzen der Frauen voranzubringen. Ihre aktuelle Kampagne: «Diese Mehrheit haben Frauen nicht verdient - 2 von 3 Alzheimer-Patient:innen sind Frauen». Women’s Brain Foundation – Advocating for sex and gender sensitive precision medicine (womensbrainproject.com)

Beispiel 3:

Auf internationaler Ebene engagiert sich seit diesem Oktober auch Melinda French Gates mit der «Action for Women’s Health», die mit 250 Millionen dotiert ist. Mit dieser Aktion werden Organisationen finanziert, die sich für die Verbesserung der geistigen und körperlichen Gesundheit von Frauen einsetzen. Pivotal Launches $250 Million Global Open Call to Improve Women’s Health | Pivotal Ventures

Weiterhin viel zu tun

Es bleibt aber immer noch viel Handlungsbedarf; zum Beispiel auch aufgrund der rasanten Verbreitung von Large Language Modellen wie ChatGPT oder Claude. Caroline Criado-Perez machte schon vor fünf Jahren darauf aufmerksam, dass die Grundlagen, mit denen diese Modelle trainiert werden, nicht geschlechtsneutral sind. Entsprechend sind die Ergebnisse verzerrt, was am Beispiel von Wikipedia – einer wichtigen Quelle der Large Language Modelle-, beispielhaft gezeigt werden kann. Die Wikimedia Foundation ist seit mindestens 2011 (…) offiziell davon überzeugt, dass es im Projekt eine geschlechtsspezifische Voreingenommenheit gibt. (Quelle: Geschlechterverteilung in der Wikipedia – Wikipedia). Tools wie ChatGPT können solche Verzerrungen noch verstärken und in ganz neuem Ausmass verbreiten.

Es gibt einen grossen Bedarf an zusätzlichen Informationen, Daten, Wissen über Frauen, insbesondere auch auf Wikipedia. Beteiligt euch, schreibt über Frauen, schliesst diese Gender Data Gap. Hier geht’s lang: Mehr Frauen für Wikipedia - Wikimedia

Besondere Wachsamkeit ist auch gefragt im Zusammenhang mit der aktuellen politischen Diskussion, die Kategorie Geschlecht auszuweiten oder gar ganz abzuschaffen. In der Sonntagszeitung vom 6. Oktober 2024 wird Rechtsprofessor Thomas Geiser zitiert: «Zwischen Mann und Frau zu unterscheiden, widerspricht der Bundesverfassung». Wer das Buch über die unsichtbaren Frauen liest, ist vom Gegenteil überzeugt. Um die Geschlechtergerechtigkeit zu erreichen, brauchen wir zusätzliche Daten über Frauen.

Die Gender Data Gap wirkt trotz zahlreicher Fortschritte auch heute noch in ganz vielen Lebensbereichen der Mehrheit der Bevölkerung. Caroline Criado-Perez schärft dafür den Blick und hilft einzuordnen. Bleibt also wachsam und werdet aktiv.

Irène Meier ist langjährige Feministin und Autorin

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Unsichtbare Frauen, Wie eine von Daten beherrschte Welt die Hälfte der Weltbevölkerung ignoriert von Caroline Criado-Perez, btw, 2019.