Coleman Mütter – Filmkritik
Coleman
© Netflix, Yannis Drakoulidis

Mutternaturen

Frau im Dunkeln ist ein Netflix-Film nach einem Roman von Elena Ferrante. Er verstört, weil es um Mutterschaft und Selbstbestimmung geht.

Die Geschichte ist rasch erzählt: Leda, eine Professorin um die 50, macht allein Ferien in Griechenland. Dort wird sie durch eine ebenfalls dort urlaubende Grossfamilie mit sich selbst und ihren Lebensentscheidungen konfrontiert: Die junge Mutter der Familie und ihre Beziehung zur kleinen Tochter lösen in Leda Erinnerungen an ihre eigene Mutterschaft aus.

In Rückblenden stellt die Regisseurin das Leiden der jungen Leda an ihrer Mutterrolle der Situation der jungen Frau in Griechenland gegenüber und thematisiert den Umgang einer Frau mit den gesellschaftlichen Erwartungen an sie als Mutter. Erstaunliche Dialoge zwischen der Professorin und der Mutter aus der Grossfamilie, gehässige, abgrundtief ehrliche Wortwechsel, Fragen und eine flackernde gegenseitige Anziehung zwischen den beiden Müttern zeigen, wie schwierig es sein kann, intellektuelle Ambitionen und sexuelle Wünsche mit den Erwartungen und der eigenen Liebe zu seinen Kindern zu vereinen. So verbindet den Familienclan und die Professorin eine Hassliebe zwischen abgrundtiefer Abneigung, Neid und Neugier.

Der Film besticht durch die Rolle der Professorin Leda Caruso, die von Olivia Coleman gespielt wird. Die Hauptdarstellerin ist keine Identifikationsfigur, man mag sie nicht, versteht sie nicht, ärgert sich über sie und kann dennoch nicht wegsehen. Genau genommen sind ihre Schwierigkeiten als Mutter so alltäglich, dass wir sie genau kennen. Sie hält ihre Kinder hin, sie ist genervt, sie versucht, neben der Hausfrauenrolle zu arbeiten, sie besticht ihre beiden Mädchen mit Geschenken, sie leidet am Angebundensein, sie sehnt sich nach ausserhäuslichem Erfolg und Anerkennung. Zum Bruch kommt es, als Leda an einer Tagung einen faszinierenden Kollegen kennenlernt. Sie bricht aus ihrer Familie aus, geht fremd und verlässt vorübergehend ihre Kinder. Damit macht sie sich damit zutiefst schuldig vor sich selbst.

Selbstbestimmung kollidiert mit Mutterschaft. Und zwar nicht nur bei der etwas abgehobenen Professorin, sondern auch bei der sinnlichen, wunderschönen Mutter aus dem Familienclan, die ebenso leidet an den eigenen und fremden Ansprüchen an ihre Mutterschaft. Es scheint fast, als ob Mutterschaft doch kein so natürlicher Zustand ist, wie viele immer noch glauben und dass das Muttersein immer noch vor allem schuldbeladen ist.

Lynn Blattmann, Mitglied der Redaktion #geschlechtergerechter

«Die Frau im Dunkeln», Regie: Maggie Gyllenhaal. Nach «La figlia oscura» von Elena Ferrante, jetzt auf Netflix.