Zu Beginn ist man sich nicht sicher, um was es im Film gehen wird. Die Bilder sind ruhig, es läuft keine Hintergrundmusik, die Schauspieler*innen verkörpern verschiedene Charaktere, die Kulisse bleibt stets die gleiche. Wir befinden uns im Gefängnis in Ezeiza, in der Agglomeration der argentinischen Hauptstadt Buenos Aires.
Die Produktion zeigt ein Reenactment eigener Erfahrungen und Geschichten von Frauen und trans Menschen, die selbst Insass*innen waren und nun frei sind. Durch die Vermischung von Dokumentarfilm und Musical entsteht ein spannendes Filmformat. Die Performer*innen bekommen Platz, ihr Leben spielerisch zu rekonstruieren – samt Hoffnungen und Träumen. Es kommen Fragen auf, wie die Menschen im Gefängnis gelandet sind, was sie aus ihrer Zeit dort machen und wovon sie träumen. So dominiert im Film eine gewisse Hoffnung und das Langen nach besseren Zeiten.
Der Drehort – das ehemalige Gefängnis – ist nicht mehr in Gebrauch und ist heutzutage nur noch als Filmkulisse und historisches Gebäude in Verwendung. Das Filmteam nutzt den Ort, um ehemaligen Gefängnisinsass*innen Raum für die Verarbeitung ihrer Erlebnisse in diesem Gefängnis zu geben. Das Drehbuch wurde anhand von Interviews mit den Insass*innen geschrieben, um auch ihren Persönlichkeiten und Geschichten genügend Platz zu lassen. Es wurde bewusst darauf geachtet, mit dem Projekt eine weitere Stigmatisierung von Gefangenen zu vermeiden und den Fokus auf die Solidarität untereinander zu legen.
Ein Gefängnis-Musical?
Die Entscheidung, die Produktion als dokumentarisches Musical durchzuführen, funktioniert. Zwar sind die Choreografien mit Misstritten oder Fehlern bespickt. Aber das macht die ganze Aufarbeitung nur noch authentischer. Genau die Freiheit, die durch Musik und Tanz entsteht, ermöglicht es den Performer*innen, sich auf neuen Wegen einen Raum der Freiheit innerhalb dieses sehr repressiven Systems zu schaffen. Das Gefängnis verdeutlicht nicht nur die Einschränkung der eigenen Freiheit, sondern auch die Unterdrückung der eigenen Identität und des eigenen Körpers, da mensch sich stehts auf eine gewisse Weise zu verhalten hat.
So wird deutlich, dass durch diese Erfahrung andere Medien und Formen genutzt werden müssen, um Gefühle und Körper von diesem Leiden zu befreien. Tanz und Musik kann genau diese Brücken schaffen, um in der Verarbeitung schrecklicher Ereignisse einen neuen Blickwinkel einzunehmen. Meiner Meinung nach handelt es sich nicht um eine Romantisierung der Gefängnisse, sondern wirft viel eher Raum für Diskussion auf, um die Geschichte der Insass*innen zu erzählen. Dominieren tut also die hoffnungsvolle Narrative, welche Kraft und Verständnis spendet.
Wann ist die Visualisierung von Gewalt nötig?
Die Realität bleibt auch ohne Repräsentation von Gewalt stets präsent. Genau dadurch unterscheidet sich Lola Aries Produktion von anderen Filmen. So wird im Vergleich zur Serie Narcos, keine etlichen Vergewaltigungsszenen eingeschoben, um die gängige Gewalt, die mensch im Gefängnis ausgesetzt ist, zu visualisieren. Es ist eine andere Art, das Thema Gefängnis zu thematisieren, da es normalerweise einfach ein Spektakel der Gewalt und Restigmatisierung widerspiegelt.
Wie Lola Aries in einem Interview hervorhebt, steigt besonders die Anzahl Frauen und trans Personen in den Gefängnissen. Dies ist auf ein neues Gesetz bezüglich Drogenhandels und Schmuggel zurückzuführen. Doch statt dadurch die effektiven Menschen hinter dem Drogen-Business aufzudecken, sind es vermehrt die Menschen an vorderster Front, die inhaftiert werden. Dabei handelt es sich besonders um Frauen und trans Menschen, die als Verkäufer*innen oder Köder fungieren.
Vinca Film bringt das faszinierende Doku-Musical REAS ab sofort in die Schweizer Kinos.