Film still The Materialist GG Dating – Filmkritik

Was ist Liebe wert?

«Die alone or marry a rich husband» – so lautet Lucys Einstellung. Denn eins ist klar: Heiraten ist ein business deal. The Materialist, der neue Film der Regisseurin Celine Song, thematisiert die kapitalisierte und normierte Welt des modernen Datings.

The Materialist fragt: Was bleibt von Intimität übrig, wenn Partner*innenschaft vor allem nach Rendite, messbaren Kriterien und der richtigen Mischung an ökonomischem, kulturellem und körperlichem Kapital bewertet wird?

Modernes Dating in der Metropole

Lucy – gespielt von Dakota Johnson – ist Mitte dreissig, bekannte Paarvermittlerin einer Agentur in New York und mittlerweile für neun Ehen verantwortlich. Selbst ist sie Single und nicht an Dating interessiert. Dafür scheint auch kaum Zeit zu bleiben, viel eher ist sie mit ihren Klient*innen beschäftigt, die nichts anderes als «perfekte» Beziehungsmenschen suchen. Selbstreflektiert wirken Lucys Klient*innen dabei selten. Deren Anforderungen sind dabei alles andere als zufällig. Sie soll unter dreissig und fit sein. Er soll reich. Sie darf nicht dick sein. Er soll vorzugsweise weiss sein. Etliche Merkmale werden aufgezählt, um die/den idealen Partner*in zu finden. Dabei wird mehrheitlich nur von monogamen, heterosexuellen Beziehungen gesprochen. Alternative Konzepte wie queere Partner*innenschaften oder polyamoröse Modelle finden in diesem Film keinen Platz. Besonders auffällig ist die Diskussion um die Körpergrösse der Männer. Lucy witzelt darüber, dass sich kleine Männer durch Beinverlängerungsoperation chirurgisch grösser machen lassen sollten, um auf dem Dating-Markt überhaupt eine Chance zu haben – ein makaberer Kommentar, der die Absurdität der Standards betont.

Die Romantisierung von Reichtum

Als Lucy auf Harry – gespielt von Pedro Pascal – trifft, scheint er der perfekte Match für sie zu sein: reich, gebildet und attraktiv. Harrys Figur wird im Film romantisiert. Er ist der Mann mit «goldenem Herzen», der trotz seines Reichtums nichts weiter als Liebe sucht. Wie sein Vermögen, sein sozialer Status und der Altersunterschied zur Figur von Lucy von rund 15 Jahren die Dynamik ihrer Beziehung prägen, wird nicht thematisiert. Die unterschwellige Nachricht des Filmes ist, dass ultrareiche Männer missverstandene Romantiker seien. Selbst die Beinverlängerung, die Harry auf sich nimmt, wird kaum hinterfragt – als wäre es völlig unproblematisch, wenn der Zugang zu Frauen chirurgisch und käuflich hergestellt werden kann.

Armut als «authentische» Alternative

John – gespielt von Chris Evans – verkörpert das andere Extrem. Er schlägt sich seit Jahren mit prekären Jobs durch und versucht sich weiterhin als Schauspieler. Es scheint, als habe er sich kaum weiterentwickelt, weder in seinem Lebensstil oder seiner Haltung. Er ist der arme, aber dafür ehrliche Mann, der Lucy angeblich mehr Liebe geben könnte als Harry. Diese Message scheint zu vermitteln: Menschen, die finanziell weniger zu bieten haben, machen dies auf emotionaler Ebene wett. Bezeichnend also die Szene im Film, als John Lucy seine einzige Liebeserklärung macht: «I can’t offer you nothing more than love.».

Reichtum ist verdächtig, Armut romantisch.

Louise Alberti

Genau an dieser Stelle kippt die Erzählung in eine Art «broke boy propaganda»: Reichtum ist verdächtig, Armut romantisch. Dass Lucy sich früher von John trennte, weil sie seine Armut nicht ertragen konnte, wird nicht mit der nötigen Schärfe reflektiert. Stattdessen führt die Handlung zu einem Happy End, das Fragen offenlässt: Warum sollte die Beziehung beim zweiten Versuch funktionieren? Was hat sich an den materiellen Voraussetzungen geändert – ausser dass Lucy nun bereit ist, ihre eigenen Sicherheiten aufzugeben?

Sexualisierte Gewalt als dramaturgisches Nebenprodukt

Besonders deutlich zeigt sich die problematische Geschlechterpolitik des Films in einem Nebenplot: Eine von Lucys Klientinnen wird auf einem ihrer Dates sexuell belästigt und anschliessend gestalkt. Doch weder ihre Traumatisierung, das Sicherheitsrisiko beim Daten noch die strukturelle Gewalt in intimen Beziehungen werden thematisiert. Stattdessen wirkt diese Erzählung wie ein kurzer Spannungseffekt, der schnell wieder fallen gelassen wird. Dass dieselbe Frau später erneut auf die Dienste von Lucys Dating-Agentur zurückgreift, obwohl diese zuvor nicht bereit war, grundlegende Sicherheitschecks oder Schutzmassnahmen zu gewährleisten, scheint zynisch. Hier zeigt sich, dass Frauenfiguren instrumentalisiert werden: ihre Verletzlichkeit dient als dramaturgisches Mittel, ohne dass ihre Perspektiven oder Bedürfnisse ernst genommen werden.

Konservative Narrative im Gewand der Rom-Com

So verfestigt der Film stereotype Narrativen: Reiche Männer sind eigentlich ganz nahbar und sehnen sich doch nur nach echter Liebe, während arme Männer doch auch authentisch sind und ebenfalls echte Liebe verdienen. Frauen erscheinen entweder als erfolgreiche, aber einsame Singles, die durch Partnerschaft oder Heirat Erlösung finden, oder als Opfer, deren Erfahrungen nur am Rande erzählt werden.

Lucys Entscheidung, Harry abzuweisen und John zu wählen, wirkt dabei nicht nur widersprüchlich, sondern auch gesellschaftlich unplausibel. Indem sie gleichzeitig ihren Job kündigen will, bringt sie sich bewusst in eine ökonomisch vulnerable Lage. Liebe wird als romantische Flucht aus ökonomischen Zwängen inszeniert, statt die Verstrickungen von Intimität, Kapital und Macht kritisch zu hinterfragen. Damit stützt der Film konservative Bilder: dass Frauen zwischen «finanzieller Sicherheit» und «authentischer Liebe in Armut» wählen müssten, dass Gewalt im Dating-Kontext ein Nebenschauplatz bleibt und dass romantische Liebe problemlos Klassenunterschiede überwinden könne.

Louise Alberti ist Autorin bei Geschlechtergerechter


20.10.2025