Porn dialogue Interview

Der Porno-Dialog

Wie wird heute über Pornografie gesprochen? Thomas Brückmann, Genderwissenschaftler sowie Bildungsreferent für Diversity und Gleichstellung, redet über Mythen und Fakten rund um Pornos.

Thomas Brückmann ist Co-Autor und Projektleiter der Wissensübersicht «Jugend und Pornografie», der im Rahmen des Projekts «Talk about Pornography» (TaP) von männer.ch entstanden ist. Er thematisiert, wer und wie Pornografie in der Schweiz konsumiert, wie ein Porno-Dialog aussehen könnte und was es dafür noch alles braucht. Entstanden ist ein Interview, das anregt, sich selbst mit dem Thema auseinanderzusetzen.

Wie sieht der heutige Dialog rund um das Thema Pornografie aus?

Es wird nach wie vor wenig darüber gesprochen. Dabei haben Jugendliche heute viel einfacheren Zugang und vermehrten Kontakt zu Pornos als noch vor wenigen Jahren. Mit der Internetpornografie und den kostenlosen Tube-Seiten wurde die Pornografie zwar zugänglicher. Doch der Dialog über Pornografie hat sich über die letzten Jahre nicht gross verändert. Es bestehen für Jugendliche nach wie vor wenige Möglichkeiten, sich mit Bezugspersonen ernsthaft darüber auszutauschen und Fragen beantwortet zu bekommen.

Was möchte das Projekt «Talk about Pornography» erreichen?

Es wird wenig über Pornografie gesprochen. Dort setzen wir an und möchten einen sachlichen Dialog fördern. Die Debatte rund um Pornografie ist schon lange stark polarisiert. Man kann irgendwie nur dafür oder dagegen sein. Beide Pole sind so stark verankert, dass es schwierig ist, sich differenziert dazwischen zu positionieren. Wir wollen mit dem Bericht und mit «Talk about Pornography» das Thema möglichst faktenbasiert angehen. Dabei sollen auch kritische Punkte beleuchtet werden, ohne Pornografie zu verteufeln. So möchten wir die Medienkompetenz von erwachsenen Bezugspersonen und damit von Jugendlichen fördern.

Jugendliche schaffen es aber schon heute, sich eine Kompetenz bezüglich Pornografie zu erarbeiteten. Ihnen ist sehr bewusst, dass Pornos ein Medium ist und dass sich real gelebte Sexualität davon unterscheidet. Auch haben sie – sowohl Mädchen als auch Jungen – einen kritischen Blick auf die dargestellten Geschlechterverhältnisse. Daneben zeigen sich aber auch Risiken. So gibt es zum Beispiel Grenzüberschreitungen, wenn Pornos anderen gezeigt werden, und damit verbundene mögliche rechtliche Konsequenzen. Jugendliche berichten von Leistungsdruck, manche Studien sehen Zusammenhänge zwischen Pornonutzung und psychischen Problemen. Ganz grundsätzlich sollten sich Jugendliche – wie zu anderen Themen auch – sachlich informieren können und auf ihre Fragen Antworten finden.

Dies möchten wir mit «Talk about Pornography» ermöglichen: Nahe Bezugspersonen als auch Fachpersonen sollen kompetent und gesprächsbereit sein und sachliche Antworten geben können. Pornografie soll dabei weder verharmlost noch verteufelt werden.

Gibt es Unterschiede im Umgang mit Pornografie zwischen den verschiedenen Geschlechtern und Altersgruppen?

Jungen nutzen mehr pornografische Inhalte als Mädchen. Auch verwenden sie sie viel häufiger zur Masturbation als Mädchen. Gründe für die Geschlechterunterschiede sind dabei auf mehreren Ebenen zu finden: unterschiedliche Geschlechterrollen, die Jungen ihre eigene Sexualität stärker zusprechen als Mädchen. Auch richtet sich das Angebot viel stärker an Männer. So ist es für Mädchen und junge Frauen viel schwieriger, etwas zu finden, was sie anspricht und ihnen gefällt.

Spannend ist auch die Intersektion von Geschlecht und Alter. Ältere Frauen schauen seltener Pornos als junge Frauen. Dort sind die grössten Unterschiede zu erkennen. Bei Männern ist die Pornonutzung über die verschiedenen Altersstufen ausgeglichener.

Hier muss man sich aber auch die Wissenslücke in Bezug auf die Pornografienutzung vergegenwärtigen. Denn die Forschung fokussiert sich stark auf Jungen und junge Männer. Dieser Data-Gap zeigt schon allein daran, dass wir schwer einschätzen können, wieviel Frauen regelmässig Pornografie nutzen. Es lassen sich Zahlen zwischen 18 und 60 Prozent finden.

Welche zukünftigen Herausforderungen sehen Sie im Umgang mit dem Thema Pornografie und Jugend?

Einerseits gibt es ein grosses Schweigen über Pornografie und es ist schwierig, dieses zu durchbrechen. Das hängt mit zwei Tabus zusammen, die in unserer Gesellschaft sehr wirkmächtig sind: die Darstellung von Sexualität in Bildern und unser Umgang mit Masturbation.

Andererseits sind unsere Kenntnisse über Pornografie und ihre Nutzung noch nicht ausreichend. Zudem sind auch die wissenschaftlichen Erkenntnisse polarisiert, ähnlich wie die gesellschaftliche Debatte. So gibt es zum Beispiel keine systematischen Arbeiten zu den Produktionsverhältnissen von Pornografie. Wir haben versucht, den sehr polarisierten Ansichten dazu faktenbasierter zu begegnen. Doch das ist nur begrenzt möglich. Nach der Einschätzung von Wissenschaftler*innen ist die Pornoindustrie zwar nicht grundsätzlich von Ausbeutung geprägt. Dennoch passieren sehr problematische Sachen. Bis dahin, dass es auf öffentlich zugänglichen Plattformen Missbrauchsdarstellungen gibt. Hier sind differenziertere Erkenntnisse und auch ein grösserer gesellschaftlicher Diskurs notwendig jenseits von vorschnellen Pauschalisierungen.

Doch nochmal zurück zu den Jugendlichen. Hier besteht eine Herausforderung darin, mit einem Dialog über Pornografie eine Gratwanderung zu meistern: Einerseits gilt es, das Eis zu brechen und ein Gespräch anzubieten. Andererseits ist es wichtig, die Grenzen zu respektieren, die Jugendliche in der Pubertät entwickeln. Die meisten Eltern sind überfordert und gehen dem Thema aus dem Weg. Dann gibt es Eltern, die mit dem eigenen Sohn Pornos schauen, was der Gesetzgeber verbietet und was auch die Grenzen von Jugendlichen überschreiten kann. Es gibt für diesen Dialog keine klaren Anleitungen oder Checklisten. Er hängt auch stark von der Beziehung ab, die zu den Jugendlichen besteht.

Was verhindert aktuell einen offenen und so dringend notwendigen Dialog? Und was bräuchte es dafür?

Es müssten auch die Rahmenbedingungen geändert werden. Lehrpersonen, mit denen wir sprechen konnten, fänden es gut, wenn Pornografie und andere Themen mit Bezug zu Sexualität stärker verankert wären. Sie schrecken davor zurück, so etwas im Unterricht zu behandeln, weil sie sich dadurch schnell angreifbar machen. Die heutigen Lehrpläne geben Ihnen keine Rückendeckung.

Eltern sollten es nicht als Bürde, sondern als Chance verstehen, sich mit dieser Thematik auseinanderzusetzten. Es sollten Angebote geschaffen werden, sich über Pornos informieren zu können und die eigene Position zu reflektieren. Jugendliche sollten die Freiheit haben zu entscheiden, mit wem sie darüber sprechen möchten. Andere nahe Bezugspersonen können auch Gesprächspartner*innen sein.

Solche Angebote können auch als Bereicherung für die Erwachsenen selbst verstanden werden, ihre eigene Haltung zu Pornografie und den eigenen Umgang damit zu reflektieren. Denn wir sprechen nicht nur mit Jugendlichen nicht darüber, sondern auch untereinander.

Wie kann Pornografie öffentlicher thematisiert werden, ohne kulturelle oder religiöse Grenzen zu überschreiten?

Neben individuellen Diskussionen über Pornografie, wie Jugendliche Kompetenzen entwickeln können, braucht es auch eine gesellschaftliche Debatte über Pornografie. Verteufelungen der Pornografie verhindert bis anhin eine differenzierte Auseinandersetzung mit den problematischen und emanzipatorischen Seiten der Pornos und den Arbeits- und Produktionsverhältnissen dahinter. Dies muss sich ändern.

Für mehr Infos, Antworten und einen vertieften Einblick in das Thema «Jugend und Pornografie» lies im Wissensbericht von Thomas Brückmann und Markus Theunert weiter.