Illus5 andrea janssen 1 Elternschaft – Interview

Eltern sein. Ich sein. Genug Sein.

Von der ehrlichsten Eltern-Community der Schweiz: Ein Interview mit Andrea Jansen

Seit #gg das letzte Mal mit Andrea Jansen gesprochen hat, ist einiges passiert. Ihr Online-Medium «anyworkingmom.com» heisst inzwischen «mal ehrlich». Mit dem neuen Namen rückt die gleichberechtigte Elternschaft in den Fokus. Die Eltern-Community soll Menschen verbinden und Unterstützung durch Fachexpert*innen bieten.

Der Tenor: Gemeinsam schaffen wir das mit der Elternschaft! Aber dieses «Etwas» ist dann eben doch Rocket Science und eher komplex. Darum soll die Zukunft des Elternseins gemeinsam gestaltet werden, so die Vision von mal ehrlich. Jede Person, die Care Work leistet, soll ein Individuum bleiben dürfen. Deshalb wird mal ehrlich auch mit me: abgekürzt, was im Englischen die Objektform von «ich» meint.

Andrea, an welche Zielgruppe richtet sich die me:-Community?

Unser Fokus liegt auf dem Individuum und deshalb sprechen wir auch nicht von Familie. Es geht uns in unserer Arbeit um jeden Menschen, dessen Rolle sich durch das Elternwerden und das Elternsein verändert. Den Begriff fassen wir dabei breit. Wir verstehen unter «Eltern» alle Menschen, die Kinder haben. Ob das nun Kinder sind, die man selbst gezeugt, auf die Welt gebracht oder irgendwann später ins Herz geschlossen hat, ist zweitrangig. Natürlich dürfen sich auch Menschen der Community anschliessen, welche die Vision von gleichberechtigter Elternschaft unterstützen, selbst aber gewollt oder unfreiwillig kinderfrei leben.

Ihr bietet eine me:-Mitgliedschaft an. Wie profitieren Eltern davon?

Der Schwerpunkt unserer Community liegt auf den emotionalen Herausforderungen, die das Elternsein mit sich bringt. Man hat viel zu lachen - aber eben auch viele Herausforderungen zu stemmen. Es geht uns darum, uns gegenseitig zu unterstützen. So möchten wir auch ein Stück weit der Entfremdung in der Gesellschaft entgegenwirken. Zudem bieten wir ein einmaliges Angebot: Über zwanzig Fachexpert*innen aus den unterschiedlichsten Bereichen bringen sich mit verschiedenen Perspektiven aktiv in unsere Community ein - das gibt es nirgends, und vor allem nicht zu diesem Preis. Die Fachpersonen beantworten auf unserer Plattform Fragen und stellen ihre Expertise an Veranstaltungen oder in Publikationen zur Verfügung. Müsste man eine Beratungsstunde bei einer Fachperson bezahlen, hätte das etwa den Preis wie bei uns die Jahresmitgliedschaft.

Wir veranstalten auch Events, deren Tickets unsere Mitglieder prioritär erwerben können. Ebenfalls stellen wir Checklisten zur Verfügung und betreiben einen Concept-Store, welcher online über unsere Website zugänglich ist. Auch hier profitieren unsere Mitglieder von exklusiven Rabatten.

«Kind und Karriere, es geht zwar beides - aber nicht gleichzeitig.»

Andrea Jansen

Wie hat sich denn der Diskurs um Elternschaft in den letzten Jahren verändert?

Er findet vor allem in anderen Formaten statt und wird stark von Social Media getrieben. Die ehemaligen Nischen - und «Frauenthemen» werden breiter aufgenommen und behandelt - das freut uns natürlich insgesamt! Weiter wird ehrlicher über das Kinderhaben und die damit verbundenen Fragestellungen und Folgen berichtet. So sprechen wir heute offen über Care Work und viele Menschen teilen mittlerweile unsere Ansicht, dass diese und Erwerbsarbeit gleichwertig sind. Noch vor zehn Jahren war der Diskurs stark an erwerbstätigen Frauen ausgerichtet. Er war von der Mentalität geprägt, dass Frau alles haben kann – Kind & Karriere – wenn sie denn nur will. Die Verantwortung lag bei der Frau. Mittlerweile hat sich folgende Ansicht durchgesetzt: Zwei Rollen zur gleichen Zeit auszufüllen, ist nur mit enormen Abstrichen möglich. Kind und Karriere, es geht zwar beides - aber nicht gleichzeitig.

Gilt deine Aussage zur Gleichzeitigkeit auch für Väter?

Väter, welche die mentale Belastung von Care Work mittragen, erleben diese Gleichzeitigkeit sehr wohl auch. Das Leben zwischen zwei Welten ist nicht geschlechterabhängig, sondern wird durch Rollen definiert. Viele Menschen leben unbewusst traditionelle Rollenbilder. Diese führen dazu, dass Mütter die Erwerbsarbeit leisten, die Verantwortung für die Familie stetig im Hinterkopf behalten, während viele Väter bei der Arbeit abschalten und sich fokussieren können. Dies hängt mit ihrem rollenspezifischen Ausgangspunkt zusammen, welcher sich von jenem der Mütter unterscheidet. Mütter können oft nur im gleichen Masse abschalten, wenn die Arbeit zuhause aufgefangen wird. An diesem Punkt stehen wir in vielen Haushalten aber noch nicht. Das ist kein Vorwurf, sondern einfach eine simple Beobachtung. Ich glaube deshalb, dass ein Grossteil der Väter diese Gleichzeitigkeit nicht als solche wahrnimmt, da Arbeit und Privatleben klarer getrennt und dadurch vielleicht auch mehr im Gleichgewicht sind.

«Wenn jemand offen sagt: manchmal bereue ich es, Kinder zu haben, oder, «ich stille nicht» - dann werden sehr schnell virtuell Steine geworfen. Bei uns nicht.»

Andrea Jansen

Ihr bezeichnet euch selbst als die ehrlichste Eltern-Community der Schweiz. Welche Themen werden bei euch offen diskutiert?

Bei uns geht es darum einen Raum für Diskurs zu schaffen und zu halten. Dieser lebt von unterschiedlichen Meinungen und der kontinuierlichen Ergänzung durch neue Perspektiven - das heisst, man darf seine Meinung auch mal ändern oder gedanklich wachsen. Wir möchten eine Umgebung schaffen, in der man sich sicher fühlen und Gedanken ehrlich aussprechen darf. Wenn jemand offen sagt: manchmal bereue ich es, Kinder zu haben, oder, «ich stille nicht» - dann werden sehr schnell virtuell Steine geworfen. Bei uns nicht.

Wie habt ihr es geschafft, dass keine virtuellen Steine geworfen werden?

Wir haben von Beginn weg unsere Werte klar dargelegt und betonen diese immer wieder. Die Betonung findet nicht nur in unseren Foren statt, sondern findet sich auch in unseren journalistischen Inhalten und in unserer Social Media-Kommunikation.

Wir arbeiten bewusst nicht mit digitalen Warnschildern, sondern gehen davon aus, dass ein guter Umgang in der Natur von uns Menschen liegt. Wenn empathische Interaktionen nicht gelingen - aus welchen Unsicherheiten auch immer - dann weisen wir sehr deutlich darauf hin, dass unsere «Community-Regeln» verletzt werden. Nicht selten hat ein solcher Austausch schon zu mehr Verständnis oder einer fruchtbaren Diskussion geführt.

Wie stellt ihr denn sicher, dass ihr in einem sich stetig verändernden Dialog die Themen behandelt, zu denen sich die Community Unterstützung wünscht?

Wir horchen sehr stark in die Community hinein und möchten wissen, was gerade bewegt und interessiert. Für uns sind unsere Community-Mitglieder ein erweiterter Teil des Teams. So können sie Themen selbst einbringen oder auf der Community-Plattform mit einem Raketen-Emoji boosten. Diese Inputs fliessen in unsere redaktionelle Arbeit ein. Als journalistisches Medium suchen und wählen wir zudem relevante Themen aus und publizieren sie dann. Das Team von mal ehrlich, die Community sowie unsere Expert*innen unterstützen sich gegenseitig. Dadurch entsteht viel positive Energie, die wir gerne in diesen Diskurs einbringen möchten.

Herzlichen Dank Andrea für den spannenden Einblick in eure Community und Arbeit.

Saphir Ben Dakon ist Autorin bei Geschlechtergerechter.

27.05.2025