Andrea Jansen Mütter – Interview

#malehrlich Andrea Jansen

Fragen und Antworten zu anyworkingmom.com.

Anyworkingmom.com ist eine Plattform, es ist aber auch ein Kleinunternehmen, wie geht das Frau Jansen?

Nun, es muss (lacht). Als Medium - und insbesondere als Online-Medium - ist es zur Zeit sehr schwierig, selbsttragend zu sein. Für uns war und ist das aber immer der Wunsch, den wir möchten unsere Inhalte allen zur Verfügung stellen, die sich für ihn interessieren - und natürlich auch so viele Menschen wie möglich erreichen, damit ein Umdenken angestossen wird. Andererseits leisten wir die unsere Arbeit nicht ehrenamtlich, sondern das ganze Team besteht aus Fachpersonen im jeweiligen Gebiet. Ich muss jeweils ein wenig schmunzeln, wenn diese Frage kommt - denn niemand würde zum Beispiel bei einem Printmagazin auf die Idee kommen, zu fragen, ob das finanziert werden muss.

Gibt es inspirierende Vorbilder für Mamablogs aus dem Ausland?

Ganz am Anfang waren es tatsächlich zwei Blogs aus dem englischsprachigen Ausland, die mich überhaupt auf die Idee brachten: selfishmother.com aus der UK, und mothermag.com aus Dänemark.
Mittlerweile ist Any Working Mom aber kein Blog mehr. Ein Blog ist per Definition ein tagebuchartiges Gefäss, das in der Regel von einer Person geführt wird. Any Working Mom ist eine Plattform, die neben einem Online-Magazin, in dem verschiedenste Journalist*innen Beiträge leisten aber auch zwei Podcasts, eine Videoserie und einen Online-Store führt. Wenn wir ins Ausland schauen, orientiere ich mich am ehesten am Aufbau von Goop - einer mittlerweile unglaublich erfolgreichen Plattform, die zum Brand geworden ist.

Mommy Wars sind ein Nebenprodukt unserer patriarchalen Welt.

Andrea Jansen

Was macht einen guten Elternblog in der Schweiz aus? Was fehlt bei uns?

Ich denke, das lässt sich so pauschal nicht beantworten, und auch die Frage, was gut ist, ist Definitionssache. Je nachdem, was jemand sucht, fühlt er oder sie sich an einem anderen Ort abgeholt. Und deshalb finde ich eigentlich auch nicht, dass etwas fehlt - zumindest heute nicht mehr.
Vor knapp sechs Jahren, als Any Working Mom gestartet wurde, war das noch anders. Da fehlte mir der ehrliche Diskurs darüber, was Elternwerden bedeutet. Wie schwierig, anstrengend und auch unfair - wenn wir von den strukturellen Problemen sprechen - das ist. Dass es für Eltern Identitätsverändernd ist, ein Kind zu kriegen - ein Podcastpartner von mir sprach sogar einmal von einer existentiellen Krise.
Dort sah ich eine Nische, die ich besetzen wollte. Ich wollte, dass wir diese Hürden und Emotionen sichtbar machen, und dass sich die Eltern - meistens Mütter, aber nicht nur - nicht mehr alleine damit fühlen. Wenn wir anfangen, die Dinge beim Namen zu nennen, dann wird aus einem Tabuthema plötzlich gesellschaftlicher Diskurs. Und DANN sind wir auf dem Weg zur Veränderung.

Es macht keinen Sinn, dass eine Mutter automatisch «Chief of Baby» wird.

Andrea Jansen

Sie wenden sich mit ihrer Plattform primär an erwerbstätige Mütter. Wie wichtig ist Team Work bei der Elternschaft?

Jein. Der Name trügt ein wenig. Any Working Mom ist natürlich stark mit Erwerbstätigkeit konnotiert, aber uns ist es unglaublich wichtig, auch Care-Work zu Hause als Arbeit anzuerkennen und wertzuschätzen.

Der oft auch nur herbeigeredete Graben zwischen erwerbstätigen Müttern und Stay-at-Home Müttern - sogenannte Mommy Wars - sind leider ein Nebenprodukt unserer patriarchalen Welt, in der uns eingeredet wird, dass Arbeit nur dann wirklich Arbeit ist, wenn sie mit Geld entlöhnt wird. Das ist natürlich Quatsch - wie wir soeben in der Pandemie gesehen haben, wo so viel Gratisarbeit geleistet wurde wie noch nie - zum Teil in Dreifachschichten als Mutter / Lehrerin und Arbeitskollegin.

Und was das Team angeht: Es ist natürlich unglaublich wichtig. Es wäre aber falsch zu denken, dass in einem guten Team alles 50/50 aufgeteilt werden muss, oder jeder alles macht. Ebensowenig macht es Sinn, dass die Mutter automatisch «Chief-of-Baby» wird und sich um alles Häusliche kümmert, nur weil sie einen Uterus hat. Jedes Elternteam darf und soll hier den Weg finden, der in der aktuellen Lebensphase am besten passt - das mögen traditionelle Familienrollen sein oder auch komplett andere: Das Ziel soll die Selbstbestimmung sein.

Leider sind wir davon aber noch immer weit entfernt. Einerseits, weil die Strukturen fehlen und andererseits, weil ganz viele Männer und auch Frauen (!) die Ernährer-, bzw. Fürsorgerinnenbilder noch ganz tief in sich drin mitführen. Diese Glaubenssätze zu erkennen und für sich selber abzuwägen, ob sie denn so wirklich stimmen für einen selber - dazu wollen wir anregen.

Besonders gefallen haben mir Ihre Podcasts, in denen Paaprobleme von Eltern sehr direkt angesprochen werden, was für Eltern holen sich Rat auf Ihrer Plattform?

Wir geben eigentlich keine Ratschläge, sondern möchten zum Hinterfragen und Nachdenken anregen. Deshalb lässt sich das nicht pauschalisieren. Jede Person, die auf Any Working Mom stösst, hat eine andere Geschichte, und sucht bei uns etwas anderes - sei es ein Gehört- und Gesehenwerden, sei es die Challenge, sich mit sich selber auseinanderzusetzen, oder manchmal auch ganz banal über die Absurditäten zu lachen, die das Leben mit Kindern mit sich bringt.

Humor ist uns ganz wichtig - auch wenn wir uns ernsthaft für unsere Themen einsetzen, finden wir, dass man auch noch lachen sollte - auch wenn wir uns in der Schweiz in Sachen Vereinbarkeit von Familie und Beruf noch im Steinzeitalter befinden.

Aufgefallen ist mir, dass Ihr Team sehr offen und persönlich auftritt. Sind sie die neuen perfekten Mütter?

Huch, wie kommen Sie darauf? Wir haben tatsächlich einen Beitrag mit dem Titel “Die perfekte Mutter gibt es nicht”, und der vermeintlich anzustrebende Perfektionismus in der Mutterschaft war auch Thema meines TedX-Talks 2018. Die Antwort ist also ganz klar: Nein. Wenn, dann sind wir die “Good-Enough”- Mütter, die eingesehen haben, dass dieses Streben nach einem überhöhten Ideal nicht nur Zeitverschwendung, sondern auch Ablenkung ist vom eigentlichen Ziel: uns gegenseitig zu unterstützen.

Unser persönlicher Auftritt hat damit zu tun, dass wir uns nicht verstecken wollen. Viele Autor*innen, aber auch die Mitglieder unserer Online-Community sind ehrlicher, als sie es jemals waren. Sie lassen die Hosen runter, damit andere sich verstanden fühlen. Selbstverständlich wollen wir als Inhaberinnen dabei Vorreiterinnen sein. Unser Claim #malehrlich ist sehr ernst gemeint, und gehört auch intern zu unserem Leitbild.

Auch Väter erleben einen starken Rollenzwang als Ernährer.

Andrea Jansen

Die Schweiz tickt ja in Familienfragen anders als der Rest der Welt, unsere Stundenpläne sind immer noch auf Hausfrauen ausgerichtet, was muss man denn jetzt wirklich ändern bei uns?

Den Mindset. Die eigene Einstellung - damit fängt alles andere an. Wenn genügend Menschen eine Rollenverteilung hinterfragen, die noch aus Zeiten der Industrialisierung stammt, und ein Mütterbild, das zumindest in Europa stark von den Vorstellungen von Jean Jacques Rousseau geprägt wurde - dann wird sich etwas ändern. Immer mehr Menschen werden erkennen, dass es keinen Sinn macht, dass Müttern (und auch Vätern) heute zwar alle Möglichkeiten offenstehen, die Kinderbetreuung aber doch bitte einfach so nebenbei gemacht werden soll. Dabei sind es zwei Vollzeitjobs, von der emotionalen Arbeit mal abgesehen.

Hat es im Kopf einmal Klick gemacht, folgen die strukturellen Veränderungen automatisch: wir werden mehr bezahlbare Kinderbetreuung fordern, Care Work in der Gesellschaft stärker wertschätzen oder sogar entlöhnen, mehr Frauen in Entscheidungspositionen haben, und somit hoffentlich irgendwann die Balance wieder herstellen.
Es ist noch ein weiter Weg. Aber sich selber zu hinterfragen ist der erste Schritt.

Gibt es Unterschiede, ob eine Familie auf dem Land lebt oder in der Stadt?

Die auf dem Land haben die bessere Luft und weniger szenige Restaurants (lacht). Natürlich ist es in der Schweiz immer noch so, dass es Unterschiede gibt bezüglich urbanen und ländlichen Gegenden. Während sich in der Stadt die Stay-at-Home-Mom schon fast entschuldigen muss für ihre Entscheidung, ist es auf dem Land umgekehrt.
Unser Ziel: alle klopfen sich auf die Schultern und erkennen an, was die andere leistet. #Sisterhood ist ein unglaublich abgelutschtes Wort, und auch Empowerment kann ich langsam nicht mehr hören - aber ich glaube sehr daran, dass wir uns alle gegenseitig unterstützen sollten.

Was darf von einem werdenden Vater heute erwartet werden?

Die Frage ist eher: was erwartet er von sich? Und welche Erwartungen haben die werdenden Eltern aneinander? Nicht nur Mütter, auch Väter erleben einen starken Rollenzwang als “Ernährer”. Wir erleben es immer wieder, dass Paare die wirklich wichtigen Fragen vor der Geburt gar nicht klären, weil sie denken, dass ergäbe sich dann schon. Was sich dann wirklich abspielt, ist ein schnelles Abdriften in sehr traditionelle Rollen, und oft sind beide Elternteile sehr unglücklich dabei - haben aber gleichzeitig das Gefühl, “das ja zu müssen, und es ginge ja nicht anders”. Doch, geht es, sagen wir.

Sehen Sie Chancen mit den neuen Arbeitsformen (z.B. Home-Office), welche?

Da gibt es absolut Chancen - zum Beispiel keine langen Arbeitswege und somit ein Zeitgewinn. Oder zum Beispiel die Möglichkeit, am Mittag zu Hause zu sein, wenn Schüler zum Zmittag kommen.
Zu denken, man könne aber zum Beispiel mit Kindern zu Hause gleichzeitig arbeiten, so wie das ab und zu in der Werbung zu sehen ist, ist natürlich ein absoluter Trugschluss. Kinderbetreuung und Erwerbsarbeit sind zwei verschiedene Jobs, die man nicht gleichzeitig erledigen kann, Punkt. Ich arbeite seit 10 Jahren mehrheitlich von zu Hause aus und weiss, wovon ich spreche.

Die neuen Arbeitsformen - New Work - sind definitiv familienfreundlicher. Wir arbeiten bei AWM remote: orts- und zeitunabhängig, unser Team arbeitet oft asynchron. Das heisst, ich kann zwei Stunden später Feedback geben, es gibt keine terminierten Sitzungen, sondern spezifische Calls, wir tauschen uns über eine Kommunikationsplattform aus, unser virtuelles Büro. Unsere ganze Organisation haben wir in einer cloudbasierten App - da stört es auch nicht, dass wir uns in vier verschiedenen Zeitzonen aufhalten. Alle in unserem Team haben Kinder, alle arbeiten in Teilzeit.

Was raten Sie einer jungen Frau, die 2022 eine Familie gründen möchte?

Unsere Inhalte zu konsumieren (zwinkert), sich nicht von Instagram-Schweinwelten beeinflussen zu lassen und das Wichtigste: mit ihren Partner*innen über gegenseitige Erwartungen zu sprechen und auch die eigenen zu hinterfragen.

Wovon müssen wir uns in Zukunft befreien?

Von dem Zwang, dass «das man das halt so macht».

Andrea Jansen ist Mitinhaberin und Gründerin von anyworkingmom.com