Fliegender Rollenwechsel Kolumnen

Fliegende Rollenwechsel

Viele Menschen – und besonders Eltern – nehmen in ihrem Leben viele Rollen ein, teilweise parallel, teilweise seriell. Dies bringt Herausforderungen mit sich.

In meinem Leben nehme ich verschiedene Rollen nebeneinander ein, alle mit gewissen Aufgaben und Erwartungen: Vater dreier Kinder, Data Analyst in einer grossen Firma, Partner einer Frau mit intensivem Berufsleben, Finanzvorstand einer kleinen Wohnbaugenossenschaft, Nachbar in einer Siedlung, Sänger in einem Chor. Jede dieser Rollen stellt Ansprüche an mich, die im Idealfall koexistieren können. In Wahrheit kann ich aber nicht jederzeit jeder Rolle so viel Aufmerksamkeit schenken, wie ich es gerne hätte. Das könnte ein Problem sein, aber das Leben geht auch so.

Die Möglichkeit, solche Rollen nebeneinander ausleben zu können, wird oft Vereinbarkeit genannt, besonders dann, wenn es um Beruf und Familie geht. Mir scheint wichtig, dass Vereinbarkeit keine binäre Angelegenheit ist, die funktioniert oder nicht, sondern vielmehr ein Spektrum. Sobald ich in meinem Leben mehr als eine Rolle einnehme, werden meine Ressourcen geteilt sein. Die Frage ist dann, ob ich die Rollen so ausleben kann, dass die Menschen um mich und ich selbst glücklich sind dabei. (Und natürlich ist das mit dem Glücklichsein auch nicht eine binäre Sache.)

Das Grundproblem ist, dass nur eine endliche Menge Zeit vorhanden ist und in dieser viele einander konkurrierende Aktivitäten Platz finden sollten.

Beispielsweise heute Nachmittag: Ich war mit den Kindern und versuchte daneben noch, allerlei andere Dinge zu machen: zuerst vom Mittagessen aufgeräumt, A. (den Sohn) in die Schule geschickt, dann für die beiden Mädchen Musik gestartet (sie wünschen Beethoven oder Bach) und versucht, Wäsche zu machen (war leider besetzt); um 14 Uhr ein Meeting mit jemandem von der Geschäftsleitung (Projektion der Marktentwicklung) und anschliessend Versuch, ein Datenproblem zu lösen (einige Datenbankabfragen). Irgendwann unterbricht mich L. (meine älteste Tochter), die daran ist, einen Holzklotz mit einer Säge zuzuschneiden, und Hilfe braucht. Ich helfe ihr, bereite Zvieri vor, und der Sohn kommt wieder nach Hause. Allgemeine Fütterung der Kinder. Eigentlich wollte ich noch Staub saugen (dringend nötig). Mittlerweile ist aber die Waschmaschine frei (Wäsche noch dringender), also nix wie los. Dabei warte ich noch auf das Feedback einer Kollegin (Slides für die Geschäftsleitungs-Sitzung, die bis am Abend abgegeben werden mussten), nochmal eine Erinnerung geschrieben. Nun angefangen mit Staubsaugen, immerhin einmal das Kinderzimmer. Dazwischen noch einmal Daten-Debugging (warum stimmt nur die Anzahl Transaktionen nicht überein?). Wieder unterbrochen: I., die Jüngste, will ein Buch lesen, aber da wird’s nun wirklich zeitlich schwierig. Ich soll auch noch einkaufen und kochen. Die Älteste bietet an, dass sie alle draussen spielen gehen – ich sage, sehr gern, aber bitte noch vorher etwas aufräumen. Das klappt für einmal ziemlich gut, ich mache auch Ordnung, dann Wäsche hängen und ab zum kleinen Coop (Minimaleinkauf heute). Zurück in der Wohnung mit Kochen anfangen (Tomaten, Mais, Aubergine alle in den Ofen), dann weiter Staub saugen. Irgendwann klingelt L. und sagt durch die Gegensprechanlage, A. und I. seien im Genossenschafts-Gemeinschaftsraum und würden da Fussball schauen und Chips essen, ob sie das alle eigentlich dürften. Ich: Ja, bitte einfach im Mass. Vom Staubsauger zurück in die Küche, dann kommt meine Frau zur Tür hinein. Eigentlich hätte L. noch einmal Klavier üben sollen, und der Beitrag für das Abschiedsgeschenk der Lehrerin fehlt auch noch. Und für die Genossenschaft hätte ich etwas verteilen müssen. Aber immerhin ist die Wohnung sauberer und es gibt etwas zu essen – und ich habe den Fehler in den Daten gefunden.

Die Wechsel zwischen den Rollen geschehen bei mir manchmal im Minutentakt; und für die Aktivitäten, die meine Rollen erfordern, sind oft mehr als die verfügbaren 24 Stunden notwendig. Um dennoch die verschiedenen Ansprüche zu vereinbaren, kann ich grundsätzlich drei verschiedene Strategien anwenden:

  • Outsourcen: Ich lasse jemand anderen einen Teil der Tätigkeiten übernehmen, typischerweise Kinderbetreuung oder gewisse Haushaltstätigkeiten.
  • Reduzieren: Ich arbeite Teilzeit, verzichte auf aufwändige Mahlzeiten, schränke mich ein bei den Hobbys.
  • Kombinieren: Ich mache gewisse Dinge gleichzeitig. Der Klassiker wäre Kinderbetreuung und Haushalt. Natürlich können auch andere Kombinationen ausprobiert werden.

Jede der Möglichkeiten bringt natürlich gewisse Nachteile mit sich. Wenn ich die Kinderbetreuung auslagere, bekomme ich weniger von meinen Kindern mit. Beim Reduzieren fällt vielleicht etwas Wichtiges weg, etwa eine erfüllende Karriere oder ein wichtiges Hobby. Kombiniere ich verschiedene Tätigkeiten, erhält jede davon weniger Aufmerksamkeit und ich erledige sie je nachdem weniger gut.

Meine Frau und ich versuchen, die drei Strategien massvoll zu kombinieren. Am Morgen ist die Kinderbetreuung durch die Schule abgedeckt, und wir sind je an zwei Mittagen und Nachmittagen zuhause (am fünften Tag ist meine Mutter da). Den Haushalt teilen wir uns zu gleichen Teilen. Wir arbeiten dazu beide nahezu 100% und haben relativ wenige wenig zeitintensive Freizeitaktivitäten.

Natürlich bin ich nicht immer und mit allem zufrieden, aber grösstenteils bin ich dankbar für den Grad an Vereinbarkeit, der in meinem Leben möglich ist. Doch wie gelingt Vereinbarkeit wirklich? Dazu mehr im nächsten Kolumnenbeitrag.

Alex Schindler

Alex Schindler ist Vater von drei Kindern im Alter von 5, 7 und 8 Jahren und wohnt mit ihnen und seiner Partnerin in Zürich Wiedikon. Er ist zu 90% angestellt und kümmert sich unter der Woche an zwei Nachmittagen um die Kinder. Alex Schindler hat Hintergrund in Literaturwissenschaft, Mathematik und Informatik und arbeitet nun im Datenbereich bei einer grossen Firma. Er findet zwar theoretische Überlegungen zur Geschlechtergerechtigkeit ganz interessant, findet aber in seinem Alltag auch viel Gelegenheiten, sich ganz praktisch an diesen Fragestellungen abzuarbeiten.


Mehr Infos zur Kolumne findest du hier: Vaterland