Beim Spass, so lehrte mich jemand vor einigen Jahren, gibt es vier Typen:
- Typ I umfasst Erlebnisse, die sowohl währenddessen als auch rückblickend Spass machen.
- Erlebnisse vom Typ II machen zwar wenig Spass im Moment, fühlen sich aber im Nachhinein gut an oder sind langfristig lohnend. Ein notfallmässiger Zahnarztbesuch kann ebenso dazugehören wie Jogging bei garstigem Wetter.
- Der Typ III ist verständlicherweise unbeliebt, da die Erlebnisse dieses Typs weder währenddessen noch rückblickend Spass machen.
- Und Typ IV umfasst die Erlebnisse, die zwar im Moment toll, im Nachhinein aber unangenehm sind, etwa Partys mit hohem Alkoholkonsum oder Karaoke beim Team-Event.
Diese freilich etwas alberne Systematik ist mir geblieben; vielleicht weil ich die Welt um mich gerne strukturiere. Und so denke ich auch über die Zeit mit meinen Kindern oft in diesen Kategorien.
Wenn ich Pläne für meine Zeit mit den Kindern mache, erhoffe ich mir natürlich immer, beim Typ I zu landen: Ich stelle mir Velotouren neben blühenden Rapsfeldern vor (natürlich frei von Pannen), ausgedehnte Schlittenpartien (niemandem ist kalt), und exquisite Besuche der Kinderoper (alle hören konzentriert zu). Erfüllende Erlebnisse, an denen man rückblickend zehren kann. Und mitunter gelingt es tatsächlich und alles verläuft wie geplant und alle behalten die Nerven.
Aber natürlich finde ich mich ebenso oft beim Typ III wieder und jongliere unzufriedene Kinder durch einen chaotischen Tag. Und dabei scheint die Hauptsache zu sein, dass alle zuletzt im Bett sind und noch leben.
Am meisten jedoch habe ich den Eindruck, dass ich die Balance zwischen Typ II und IV finden muss. Dass ich irgendwie zwischen kurzfristigem und langfristigem Wohlbefinden auswählen muss. Beispielsweise kürzlich, als ich mit den Kindern eine kleine Velotour machte: Eigentlich eine Supererfahrung, das erste Mal alle auf dem Velo zur Limmat und dort auf einem Gaskocher Buchstabensuppe gekocht. Alles deutete auf Typ I hin, aber: Auf dem Rückweg stritten sich der Siebenjährige und die Fünfjährige derart lauthals und andauernd um einen Blödsinn (darum, wer direkt hinter mir fahren darf), dass ich mich fragte, ob der Restaurantbesuch mit Eis, den ich geplant hatte, wirklich eine gute Idee sei.
Ich sah nun 3 Möglichkeiten vor mir: a) Wir gehen trotzdem Eis essen. b) Wir gehen nicht Eis essen, ich sage den Kindern aber auch nichts über den ursprünglichen Plan. c) Wir gehen nicht Eis essen und ich sage den Kindern, dass sie sich durch das Streiten den Eisdielenbesuch verdorben hätten. Für mich war a) verlockend, da ich selbst eigentlich auch Eis essen wollte. Ich hatte aber den Verdacht, dass sich diese Entscheidung zum Spass vom Typen IV führen könnte: Zwar würden die Kinder das Eis geniessen, doch es könnte wie eine Belohnung für schlechtes Benehmen erscheinen. Umgekehrt klang c) zwar unangenehm, doch ich erhoffte mir dafür einen langfristigen Lerneffekt («Erinnert euch daran, was das letzte Mal passierte, als ihr euch strittet»). Und wenn die Kinder in Zukunft netter zueinander sind, würde es wiederum bedeuten, dass die ganze Übung eine Art von Spass Typ II war. b) wiederum schien zwar wenig aufwändig, aber ich hielt die Variante irgendwie für unehrlich und sie kam für mich nicht in Frage.
Das Elterndasein bringt es mit sich, jeden Tag unzählige Entscheidungen zu treffen, ohne genügend Informationen dazu zu haben. Im konkreten Fall oben entschied ich mich für c), informierte also die Kinder, dass ein Eisdielenbesuch geplant gewesen wäre, sie sich diesen aber verscherzt hätten. Wie zu erwarten war, löste dies bei der fünfjährigen Tochter einen riesigen Wutanfall aus (sie schrie für die nächste halbe Stunde unaufhörlich und in höchster Lautstärke «Glacé essen!»). Dies führte bei mir natürlich auch wieder zu gewissen Selbstzweifeln, ob diese nun die richtige Wahl gewesen war. Immerhin kam von den älteren zwei Kindern kein Protest, und es schien, also ob sie die Situation irgendwie als fair akzeptierten.
Im grösseren Kontext geht es so für mich oft um die Frage, ob ich lieber zuerst das Unangenehme und später das Angenehme erleben möchte (Typ II) oder doch eher das Ganze in umgekehrter Reihenfolge (Typ IV). Allerdings ist die Welt mit Kindern nicht mehr ganz so einfach, und es ist schwer abzuschätzen, was welchen Effekt haben wird. Ob sich jetzt die unangenehme Situation nun wirklich langfristig positiv auswirken wird, wird sich wohl erst in Jahren zeigen. Und selbst dann wird nie klar sein, was gewesen wäre, wenn.
Nichtsdestotrotz drängt mich mein protestantisches (Über-)Ich zum Typ II; das Prinzip, dass vor dem Vergnügen die Arbeit komme, sitzt tief in mir drin. Und dies wiederum beeinflusst dann die Entscheidungen, die ich in Sekundenschnelle treffen muss. Und vielleicht auch die Ergebnisse rund um die ganze Spassthematik.