Für mich war die Erfahrung, Vater zu werden, oft eine Reise in ein unbekanntes Land. Es war am Anfang ein Ort mit fremdartigen Bräuchen und einem eigenen Vokabular, ein Ort, mit dem man eigentlich gemächlich vertraut werden müsste, am besten mit Akklimatisationsphase und Schonfrist. – Natürlich geschah das nicht, und es wurden gleichwohl sofort nach meiner Ankunft sehr viele Anforderungen an mich gestellt, auch wenn ich mich noch gar nicht so richtig heimisch fühlte und nicht recht wusste, wie ich den Erwartungen gerecht werden könnte. Definitiv kein Erholungsort. Dafür einer, an den ich ohne Rückfahrkarte gereist war.
Bevor ich selbst Nachwuchs hatte, war ich fast keinen Kindern ausgesetzt. Während meine beiden Schwestern zumindest einige Erfahrungen mit Babysitting machten, wurde ich nie angefragt (und mir fiel auch nicht ein, ich könnte mich dazu anerbieten). War zufällig einmal ein Baby in meiner Nähe, so war keine Rede davon, dass ich es auf den Arm nehmen könnte. Einmal während meiner Studentenzeit hatten die Nachbarn ein Baby und legten meinem WG-Kollegen und mir eine Geburtsanzeige in den Briefkasten. Wir interpretierten diese gewissermassen als Warnung (falls das Kind in der Nacht schreit), und es fiel uns nicht ein, dass wir etwas schenken oder vorbeigehen könnten.
Und dann war ich in meinem Freundes- und Bekanntenkreis der erste, der Vater wurde: Ich war 27 Jahre alt, hatte erst 2 Jahre zuvor die Studenten-WG verlassen und ein bürgerlicheres Leben angetreten, und war eigentlich noch im Alter, in dem viele ihre Backpacking-Monate und Party-Nächte durchleben. Wir hielten uns parat für ein Kind, doch an einer Infoveranstaltung für werdende Eltern im Triemli-Spital fühlte ich mich dann doch quasi als Teenager-Vater; die meisten anderen Männer dort waren gut 10 bis 20 Jahre älter. Und meine Freunde dagegen hatten zunächst noch viel anderes im Kopf als Kinderkriegen.
Ich hatte also weder Erfahrung mit Kindern noch gleichaltrige Väter-Vorbilder in meinem Umfeld. Das hatte auch Vorteile, da ich nicht schon mit allerlei Beispielen konfrontiert war, was es bedeuten kann, Kinder zu haben. Gleichwohl merkte ich, dass ich ja doch schon viele Ideen verinnerlicht hatte – sei es aus meiner eigenen Erfahrung als Kind oder aus meiner Sozialisierung allgemein –, von denen ich bewusst und unbewusst beeinflusst war. Einige dieser Ideen hatten konkret mit dem Vatersein zu tun, andere bezogen sich eher auf allgemeine Gender-Themen.
Denn natürlich ist die ganze Frage nach dem Vaterdasein eng verknüpft mit allerlei Gender-Fragen. Wie ich meine Vater-Rolle auslebe, hat Auswirkungen auf meine Partnerin. Und umgekehrt beeinflussen ihre Vorstellungen und Entscheide auch mein Leben. Wenn ich mich um etwas kümmere, muss meine Partnerin es nicht oder weniger stark tun. Was ich dagegen vernachlässige, muss sie je nachdem kompensieren. Und alles natürlich auch umgekehrt. Das betrifft nicht nur bezahlte und unbezahlte Arbeiten, sondern noch eine grosse Menge anderer Tätigkeiten, die heute oft unter den Schlagworten Carework und Mental Load zusammengefasst werden.
Und natürlich geht es nicht nur um Gender, sondern auch um so viele andere Themen, die relevant sind rund ums Vaterdasein. Um Themen wie Verantwortung, Erziehung, Liebe und Bedürfnisse; um Fachbereiche von Pädagogik über Psychologie bis hin zu Spieltheorie; um Lebenskompetenzen wie Stressbewältigung und Empathie und die Fähigkeit, Entscheidungen zu treffen.
Diese Kolumne soll also eine Art Reisebericht sein, der von meinen Erfahrungen im Vaterland (und teilweise unseren Erfahrungen im Elternland) erzählt. Ich möchte hier über die Reise mit all ihren Wechselfällen und dramatischen Momenten nachdenken und mich mit der Art und Weise auseinandersetzen, wie ich bisher gereist bin und weiterhin reise. Es sollen keine Hochglanz-Instagram-Posts werden, sondern realistische und subjektive Auseinandersetzungen mit einem Land, das mir mittlerweile immer vertrauter geworden ist. Einem Land von rauer Schönheit mit wilden Tälern und unerforschten Bergketten, das auch immer wieder mit Stacheldraht und Minenfeldern aufwarten kann – und das man zuletzt doch nicht mehr verlassen will.