Gottesdienst Ereignisse – Reportage

Widerstand im Gottesdienst

Die «Frauen für den Frieden Berlin-Ost» gehören zu den wenigen lange bestehenden Oppositionsgruppierungen der DDR, bekannt sind sie aber trotzdem nicht wirklich. Ein Versuch, diese Forschungslücke zu füllen.

Am 25. März 1982 verabschiedete die Volkskammer der DDR ein Gesetz, welches Bürgerinnen der DDR verpflichtete, bei Mobilmachung oder im Verteidigungsfall, zum Armeedienst einberufen werden zu können. Sieben Frauen- Bärbel Bohley, Irena Kukutz, Katja Havemann, Karin Teichert, Bettina Rathenow, Almut Ilsen und Ulrike Poppe- formulierten eine Eingabe (Petition) an den Staatsratsvorsitzenden Erich Honecker. Diese umfasste etwa 150 Unterschriften, gesammelt über persönliche Kontakte, eine unter den Bedingungen der DDR ausgesprochen grosse Zahl.

In der Eingabe erklärten die Frauen, dass sie den «Armeedienst für Frauen nicht als Ausdruck ihrer Gleichberechtigung, sondern als einen Widersinn zu unserem Frau-Sein verstehen.»

Die Hauptforderung der Friedensfrauen war eine gesetzlich verankerte Möglichkeit der Verweigerung. In der DDR waren Eingaben die einzige legale Möglichkeit, Einspruch gegen staatliche Massnahmen einzulegen. Jene Eingabe gilt als Gründungakt der «Frauen für den Frieden» in Ost-Berlin. Wichtig ist hier zu betonen, dass die Geschichte der Friedensfrauen untrennbar mit der Konstituierung und Entwicklung der unabhängigen, nichtstaatlichen Friedensbewegung der DDR ist- unabhängig und nichtstaatlich deshalb, da die DDR für sich in Anspruch nahm, der ‚Friedenstaat‘ überhaupt zu sein und der Träger der eigentlichen Friedensbewegung somit in den staatlichen Organisationen zu suchen sei.

Nachdem die Gruppe keine Antwort auf ihre Eingabe erhielt, planten sie eine öffentlichkeitswirksame Aktion auf dem Berliner Alexanderplatz. Auffällig schwarz gekleidet wollten die Frauen Briefe mit ihrer persönlichen Kriegsdienstverweigerung, adressiert an das Wehrkreiskommando, der Post aufgeben. Die Geheimpolizei reagierte aggressiv, aber wagte es nicht, die untergehakten Frauen gewaltsam zu trennen.

Die Stasi war den Friedensfrauen immer dicht auf den Fersen; kurz nach der Aktion auf dem Alexanderplatz wurden sie einzeln zu Vernehmungen durch die Staatssicherheit vorgeladen, bedroht und eingeschüchtert. Am 12.12.1983 kam es zur Verhaftung in Berlin von Bärbel Bohley und Ulrike Poppe, wegen «Verdachts auf landesverräterische Nachrichtenübermittlung». Daraufhin entwickelte sich Protest sowohl in der DDR selbst als auch vonseiten der westeuropäischen Friedensbewegung. Aufgrund dieses öffentlichen Druckes entschloss sich der DDR-Staat dazu die beiden Friedensfrauen nach sechs Wochen wieder freizulassen.

Zwischen Pazifismus, Widerstand und Gebeten

Eine der bekanntesten Aktionen der Friedensfrauen waren die politischen Nachtgebete für Frauen. Das Erste fand im Mai 1984 unter dem Motto «Kommt lasst uns klagen, es ist an der Zeit, wir müssen schreien, sonst hört man uns nicht» in der Auferstehungskirche in Berlin statt. Weitere folgten, wodurch eine noch viel grössere Anzahl an Frauen mobilisiert und die Kirchen gefüllt wurden. Mit diesen Aktionen konnte innerhalb der evangelischen Kirche ein halböffentlicher Raum geschaffen werden, in dem offen diskutiert wurde und «Frauen über das klagen konnten, was sie bewegte».

Dieser Rückgriff auf Klagegottesdienste hatte auch den politischen Hintergrund, dass ein im Gebet geäusserter Satz auch in der DDR nicht strafrechtlich verfolgt werden durfte:

Getarnt als religiöse Aussagen, wurden in persönlichen Klagen Forderungen nach Demokratie, Meinungsfreiheit und Abrüstung kundgetan. Die Gebete wurden durch die Stasi aufgezeichnet und säuberlich dokumentiert, mithilfe von eingeschleusten Spitzeln (welche eng in die Gruppe eingebunden waren) und anderen Mitarbeiter des MfS.

«Uns war natürlich klar, dass ein Teil Stasi war, aber die sollten ja auch mal in die Kirche gehen.»

Bärbel Bohley

Die politischen Nachtgebete für Frauen waren volle Erfolge, was im Umkehrschluss aber noch mehr Repression für die «Friedensfrauen» bedeutete. Das MfS (Ministerium für Staatssicherheit) stuf die Frauen für den Frieden Berlin-Ost bereits nach dem ersten Nachtgebet 1984 als «feindlich negativ» ein. Ein Jahr später wurde ein ZoV, ein «Vorgangsart zur zentralisierten operativen ‘Bearbeitung’ von ‘Vorkommnissen und Personen’ mit einer erheblichen ‘gesellschaftsgefährlichen’ Dimension für die Friedensfrauen eröffnet. Dieser enthielt genaue Pläne zur Zersetzung der Gruppe.

Viel mehr als nur Ehefrauen von «…»

Nach dem Abflauen der Friedensbewegung und mit der Entwicklung der unabhängigen Frauenbewegung der DDR ab Mitte der 1980er-Jahre begannen sich die Frauen für den Frieden organisatorisch auseinanderzuentwickeln: in diejenigen, die sich stärker in der unabhängigen Frauenbewegung verorteten, und diejenigen, für die die Systemopposition im Mittelpunkt der politischen Aktivität stand. In den verschiedenen Bürgerbewegungen des Herbstes 1989 gehörten viele der Frauen für den Frieden zu den Mitinitiatorinnen der gemischtgeschlechtlichen Bürgerbewegungsgruppen.

Bei den «Frauen für den Frieden» hätten sich die Ehefrauen von bekannten DDR-Dissidenten getroffen, schreibt Ehrhardt Neubert in seinem Standardwerk über die Geschichte der DDR-Oppositionsbewegung. Das Buch hat mehr als 1000 Seiten. Gerade einmal fünf davon sind den diversen Untergruppen der «Frauen für den Frieden» in der gesamten DDR gewidmet.

Doch der DDR gab es nicht viele Oppositionsgruppen, die so lange überlebten wie, die Frauen für den Frieden Berlin-Ost. Und sie waren viel mehr als die Ehefrauen von Dissidenten, sie kämpften eigenständig für Meinungsfreiheit und setzten sich gegen eine militarisierte Gesellschaft ein. Die Friedensfrauen waren ausserdem frühe Wegbereiterinnen der Friedlichen Revolution von 1989. Vergessen werden dürfen sie nicht.

Lena Schibli studiert Geschichte an der Universität Basel und ist Mitglied der Redaktion. Im Rahmen ihrer Bachelorarbeit hat sie sich mit der Gruppe «Frauen für den Frieden Berlin-Ost» auseinandergesetzt.

Weiter nachlesen unter:

Almut Illsen et al.: Seid doch laut. Die Frauen für den Frieden in Ost-Berlin. 1. Auflage. Berlin: Ch. Links Verlag, 2019.

Miethe Ingrid: Die „Frauen für den Frieden“ – Ost, in: Digitales Deutsches Frauenarchiv, 2018.

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