Group 3929 Polarisierung – Studie

Wir und die anderen – Polarisierung in der Schweiz

Die Studie von Pro Futuris zu gegenseitigen Sympathien und Antipathien der Schweizer Bevölkerung.

Pro Futuris – der Think + Do Thank der Schweizerischen Gemeinnützigen Gesellschaft hat in Zusammenarbeit mit der Universität Bern eine dreiteilige Studie zu Zusammenhalt und Polarisierung durchgeführt. Im ersten Teil sind die Forschenden der Polarisierung der Schweiz auf den Grund gegangen. Der zweite Teil befasst sich mit Sympathien und Antipathien, mit denen sich unterschiedliche politische und gesellschaftliche Gruppen begegnen.

Der Austausch mit Andersdenkenden ist eine wichtige Voraussetzung für echten Dialog und eine Grundvoraussetzung für ein funktionierendes demokratisches System. Auch der Diskurs über Geschlechtergerechtigkeit setzt voraus, dass sich Menschen aus unterschiedlichsten Lebensrealitäten gegenseitig Interesse und Empathie entgegenbringen.

Der Diskurs mit Andersdenkenden

Wer den gegenwärtigen politischen Diskurs verfolgt, gewinnt schnell den Eindruck, dass zwischen verschiedenen Gruppen wenig bis gar keine Verständigung mehr stattfindet. Das Wort Polarisierung hat sich dafür als Negativbegriff durchgesetzt. Befeuert wird dieser Umstand auch durch die Art, wie Informationen konsumiert werden. Offene Debattenräume wurden in meinem Empfinden in den letzten Jahren teilweise zu restriktiven Denksystemen, in die Andersdenkende kaum mehr Eingang finden. Doch ist dem wirklich so? Die Studien von ProFuturis gehen dieser und anderen Fragen auf den Grund und geben Antworten.

Die gute Nachricht gleich zu Beginn: Ganz so negativ sollte man die Situation nicht beurteilen. Dennoch bereitet die wahrgenommene Erosion des Zusammenhalts fast drei Vierteln der Befragten Sorge. Die Mehrheit von ihnen wünscht sich gleichwohl mehr Austausch mit Andersdenkenden. Weiter empfinden ebenfalls drei von vier Befragten diesen Austausch grundsätzlich als wertvoll.

Von der Theorie zur Praxis

Sich Austausch zu wünschen und ihn zu leben, sind zwei unterschiedliche Dinge. Dies zeigt sich auch in den Studienergebnissen. Schweizer*innen unterhalten sich besonders selten mit Menschen einer anderen sexuellen Orientierung, Hautfarbe, Religion oder aus einer anderen sozialen Schicht. Gleichwohl geben zwei von fünf Befragte an, sich einmal in der Woche mit Andersdenkenden über gesellschaftliche und politische Themen zu unterhalten.

Die emotionale Beurteilung gesellschaftlicher Gruppen

Doch wer sind diese Menschen, die angeblich anders denken? Traditionell verankerte Personengruppen erhalten eine überwiegend positive Bewertung. Den Frauen, Personen vom Land und Senior*innen gegenüber sind die meisten Befragten wohlgesinnt. Marginalisierte Gruppen wie Asylbewerbende oder Sozialhilfebezüger*innen werden hingegen negativer beurteilt. Besonders kritisch gegenüber eingestellt sind die Stimmbürger*innen strenggläubigen Personen und dem reichsten Prozent der Bevölkerung.

Die politische Komponente

Welche Themen diskutiert werden, hängt aber nicht nur vom Gegenüber ab, sondern auch von der Thematik selbst. Gruppen, die politisch kontroverse Themen thematisieren, stossen auf besonders viel Antipathie. So werden Klimaaktivist*innen und Pandemie Massnahmengegner*innen von fast der Hälfte der Befragten negativ beurteilt. Diese Themen erhalten jeweils viel mediale und politische Aufmerksamkeit und bringen gemäss der Studie eine «Neuverhandlung von individueller Freiheit und staatlicher Macht mit sich.»

Macht neu verhandeln - Geschlechtergerechtigkeit

Was bedeuteten diese Ergebnisse nun für den Geschlechterdiskurs? Die Studie macht sichtbar, dass in Bezug auf das Geschlecht vor allem non-binäre Personen negativ wahrgenommen werden.

Man kann auch davon ausgehen, dass Menschen, die sich für Geschlechtergerechtigkeit einsetzen, vermehrt mit Antipathie konfrontiert sind. Vor allem deshalb, weil die mit dem Diskurs verbundenen Fragen viele politische, gesellschaftliche und damit systemische Veränderungen mit sich bringen. Die bestehenden Strukturen müssen angepasst werden, um die Geschlechtergerechtigkeit in der Schweiz zu verbessern. Die Studie von ProFuturis zeigt, dass der Austausch in der Gesellschaft grundsätzlich gewünscht ist und die Echokammern keineswegs undurchdringlich.

Wir müssen umgehen, dass uns einige Sympathiepunkte auf individueller Ebene verloren gehen, wenn wir uns für politisch kontrovers diskutierte Themen einsetzen. Ich persönlich nehme dies aber für mehr Gleichstellung für alle gerne in Kauf.

Text von Saphir Ben Dakon, sie ist Autorin bei Geschlechtergerechter.

09.09.2025